Buchvorlage

Alexander Wolf: Zur Hölle mit den Paukern - Memoiren einer Schulzeit;
Pardon Bibliothek im Verlag Bärmeier & Nikel, Frankfurt am Main, 1963 (Erstauflage) 
Kochen Sie? Dann wissen Sie, wie wichtig die richtige Dosierung von Salz für einen abgerundeten Geschmack ist. Bestimmt haben Sie schon einmal eine fürchterlich versalzene Suppe gegessen - kein besonderes Vergnügen, einfach zu viel des guten! Doch andererseits kennen Sie das Sprichwort, welches besagt, dass erst das Salz in der Suppe Interesse und Freude des geneigten Essers für dieselbe erregt. Also, um die kulinarische Metapher fallen zu lassen und es mit Roberto Blanco zu sagen: "Ein bisschen Spaß muss sein!"
Und dass auch in der Penne (hier die Übersetzung für jüngere und unerfahrenere Leser: in der Schule!) die richtige Portion Spaß das berühmt-berüchtigte "Salz in der Suppe" ausmacht, das beweist Alexander Wolf in seiner humoristischen Satire auf das Schüler- und Lehrerleben "Zur Hölle mit den Paukern".

Im Zentrum des Buches steht - wie sollte es anders sein? - ein gewitzter Schüler namens Pepe Nietnagel, dem "leere[n] Pathos [..., den] brüchige[n] Stellen der Pädagogik" überdrüssig, wie es die kurze Inhaltsbeschreibung auf der Innenklappe des knallig gelb-orangefarbenen Schutzumschlages ausdrückt. Er beobachtet seine Pauker, "[h]inter die bekritzelte Schulbank und eine temperamentvolle Nüchternheit verschanzt" (ebenda), und treibt sie mit den fiesesten und ausgefallensten Pennälerstreichen zur Weisglut.
Dabei helfen ihm nicht nur seine Klassenkameraden, Dietrich, Wagner, Grendel und wie sie alle heißen, sondern auch seine Schwester Marion und sein Vater.
Immer wieder Opfer dieser Lausebande: das leidgeprüfte Lehrerkollegium. Taft, Knörtz, Polhagen, Priehl, Blaumeier und so weiter... Diese, die einem wirklich leid tun könnten, wären sie nicht so "fiese Knacker" (S. 8, A. 3), stellen sich dem Pack in ihrer altmodischen Verbissenheit mit Karzerstrafen, Verweisen und anderen drakonischen Maßnahmen.

In 26 kurzen Kapiteln mit aufsehenerregenden Überschriften wie "Alle Lehrer haben Angst", "In der Höhle des Löwen" oder "Wie man ein Gedicht liquidiert" werden die Schriften des Schülers Nietnagel auf 180 Seiten abgedruckt. Jedes Kapitel, abgesehen vom ersten, das quasi als Vorwort gedacht ist, erzählt einen Streich und ist gleichsam in sich ein kleiner abgeschlossener Text.
Dass sich harmlose Streiche in kurzen Abschnitten mit "handfesteren" Begebenheiten in längeren Texten abwechseln, sorgt nicht nur für eine unterhaltsame Mischung, welche die modernen Moritaten in ihrem Facettenreichtum erst voll zur Geltung bringt, sondern vermittelt dem Leser ebenso eine scheinbare Realität, die, von ihrer Sprunghaftigkeit und Einfachheit unterstrichen, in dem vorletzten Kapitel zur irrealen Metapher wird, die man (oder besser, Nietnagel) einfach mit reichlich Sprengstoff zum finalen Schlussakt "in die Luft jagt".

Außer vom Aufbau profitiert das Buch auch vom Schreibstil Alexander Wolfs, der - er selbst war Lehrer - den Jugendjargon der frühen 1960er Jahre authentisch einfängt und durch seine Romanfigur Pepe völlig glaubwürdig und ungekünstelt zum Publikum spricht. Beim vorliegenden Stil - dem Mündlichen näher als dem Schriftlichen und durch jahrelange Erfahrung im wahrsten Sinne des Wortes "geschult" - bedarf es keiner großen Vorstellungskraft, sich in die muffigen Schulzimmer der Wirtschaftswunderzeit, an denen der Fortschritt so weit vorbei ging wie sonst an kaum etwas, zurückzuversetzen, die aufgeplusterten Autoritäten vor dem geistigen Auge wachsen zu lassen, sich der imaginären Zeit der Unterwanderung von Zucht und Ordnung hinzugeben.
Unterstützt wird dieser Prozess überdies von den Illustrationen Kurt Halbritters, der nicht davor zurückschreckte, die Absurdität des Themas in Bezug auf den blühenden Alltag zu karikieren und beinahe ulkig erscheinende Wesen zu kreieren.

Als man vier Jahre nach Erscheinen des Buches schließlich an die Verfilmung desselben ging, musste man wohl oder übel Abstand nehmen von vielen oben erläuterten Punkten, die den besonderen Reiz des Buches ausmachen, ohne dabei jedoch die Basisidee und Gesinnung Alexander Wolfs, nämlich eine scharfe Satire auf das Schulsystem durch die wahren Experten - die Schüler - zu schaffen.
Die Kritik zu erhalten war sicherlich ein wichtiger Punkt bei den Vorbereitungen zum ersten Teil der Serie "Die Lümmel von der ersten Bank", denn der erste Teil versprüht - im Gegensatz zu seinen Nachfolgern und Epigonen - jenes die Zustände an den Schulen hinterfragende Element, ohne dabei die humoristische Komponente zu beeinträchtigen oder sich gar störend auf den Gesamteindruck niederzuschlagen. Den späteren Streifen fehlt dieser Einfluss - sie sind "lediglich" Unterhaltungsfilme.
Eine wichtige Veränderung gegenüber dem Roman stellt das Einbringen einer Rahmenhandlung dar, die in "Zur Hölle mit den Paukern" durch das Hin- und Herspringen zwischen den einzelnen Streichen völlig fehlt, in der gleichnamigen Verfilmung aber ebenfalls relativ schwach ausgeprägt ist (der "Einsatz" Dr. Kerstens sowie seine keimende Beziehung zu Helena Taft). Auch hier gilt: Die späteren Filme entfernten sich immer mehr vom Geist des Buches, weil sie sich immer stärker auf eine durchgängige Geschichte stützen.
Ebenso veränderte man die Rollenverteilung insofern, als dass man das Rollenmonopol Nietnagels abschwächte und stattdessen die (auch im Buch vorhandenen, dort aber eher im Hintergrund agierenden) weiteren Protagonisten in ihrem Handlungsspielraum stärkte. Dies brachte ebenso kleinere Änderungen ihrer Charaktere, Namen und Positionen mit sich, was sich allerdings nicht nennenswert auswirkt.
Einige Streiche des Buches (Gedenkfeier-Streich, Brunnen-Streich, Toiletten-Streich) wurden zumindest in abgeänderter Form übernommen, weitere für die wirkungsvolle Umsetzung auf der Leinwand von Drehbuchautor Georg Laforet hinzugeschrieben.
Auch in späteren Lümmel-Filmen verwandte man Streiche aus "Zur Hölle mit den Paukern".

Während die Filme oftmals als "dümmlicher Klamauk" deklariert wurden, erntete das Buch auch bei ernsthaften Kritikern großes Lob. Wolf, so etwa hieß es im Norddeutschen Rundfunk, habe "wirklichkeitsnah [geschrieben], wie es seit Tucholsky kein deutscher Schriftsteller mehr fertig brachte" (Innenklappe Schutzumschlag). Auch die Westdeutsche Rundschau meinte: "Die Figur des Nietnagel stimmt in ihren soziologischen und persönlichen Bedingungen. Dem Autor ist eine treffliche Satire gelungen." (ebenda)
Und eben diese Satire macht "Zur Hölle mit den Paukern" auch heute noch lesenswert, in einer modernen Zeit mit mp3-Playern im Musikraum und Laptops im Hörsaal, in der, trotzdem die Eigentümlichkeit des deutschen Bildungssystems schon so lange bekannt ist, immer noch annähernd die gleichen Kritikpunkte gefunden werden können wie zu Wolfs Zeiten und in der die Schüler nach wie vor mit kleinen und großen Streichen versuchen, die Schulzeit auf eine möglichst unterhaltsame Art und Weise zu überstehen, in bestem Wissen und Gewissen, dass erst der Spaß an der Freude auch in den "höheren Lehranstalten" das Salz in die Suppe bringt.

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